„FREI VON JEGLICHER BEWERTUNG WERDEN VIELFÄLTIGE LEBENSSTILE RESPEKTIERT“

Ein Interview mit Sebastian Dörschug, dem stellvertretenden Geschäftsführer von humanitus.

1.) Seit vielen Jahren ist Humanitus Partner von Bonn Lighthouse. Worin liegen der besondere Reiz und die spezielle Herausforderung?

Wir arbeiten bereits seit 1995 mit Bonn Lighthouse zusammen. Damals haben wir neue Wege beschritten, indem wir als einer der ersten Pflegedienste in Bonn die ambulante Infusionstherapie etablierten. Der besondere Reiz in der Zusammenarbeit lässt sich am besten mit einem Satz aus dem Leitbild von Lighthouse umschreiben: „Frei von jeglicher Bewertung werden vielfältige Lebensstile respektiert, die nicht selten soziale Ausgrenzung erfahren.“ Die Bewohner von Lighthouse – vorwiegend jüngere Menschen, benötigen i.d.R. eine gänzlich andere Form der Unterstützung als das bei den „herkömmlichen“ in der ambulanten Pflege zu versorgenden Menschen der Fall ist. Oftmals ist auf Grund der Schwere der Erkrankung eine deutlich komplexere Grund- und Behandlungspflege notwendig. Da der Bezug zwischen den zu Pflegenden und unseren Mitarbeitern keine rein professionell distanzierte „Patienten-Pflegekraft-Beziehung“ darstellt, gilt es ein besonderes Gespür für Nähe und Distanz zu entwickeln. Da die Bewohner oftmals in jeglicher Hinsicht besondere Menschen sind, entstehen hierbei eben auch besondere Beziehungen zwischen Pflegekraft und Hilfebedürftigem.

2.) Die Palliativ Medizin hat enorme Fortschritte gemacht. Wie aber sieht der Alltag aus?

Wir verfügen in Bonn und Umgebung über ein außergewöhnlich gutes Netzwerk palliativer Versorgung. Dies gilt sowohl für den stationären wie auch für den ambulanten Bereich. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit anderen die ambulante palliative Versorgung zu optimieren. Derzeit wird in verschiedenen Arbeitsgruppen an der Umsetzung der speziellen ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gearbeitet. Das Ergebnis wird eine organisational übergreifende, flächendeckende Versorgung schwerkranker Patienten sein, die es ermöglichen wird Menschen in der von ihnen gewünschten Umgebung bestmöglich zu versorgen.

3.) Wie verarbeitet man die tägliche Konfrontation mit Krankheit und Tod?

Ich denke, dass da jeder Mensch eine andere Strategie hat. Täglich mit Krankheit und Tod konfrontiert zu sein, bedeutet für mich schon eine besondere Art von Stress. Ich kann von mir nicht behaupten, dass ich auf Grund meiner Arbeit weniger Angst vor dem Sterben oder dem Tod habe. Ich versuche aus dem Erlebten die Konsequenzen zu ziehen, um etwas mehr Dankbarkeit für die vielen schönen Dinge des Lebens an den Tag zu legen. Ab und zu gelingt es mir auch.

4.) Welche Erfahrung macht Ihr mit der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen in der Praxis?

Ich habe mich 2007 im Rahmen meiner Diplomarbeit sehr intensiv mit dieser Thematik beschäftigt. Meines Erachtens wurde bereits mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 17.03.2003 die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen ausreichend festgelegt. Somit würde die Durchführung einer medizinischen Behandlung trotz konträrer schriftlich fixierter Willensbekundung den Tatbestand der Körperverletzung darstellen. Mir ist nicht bekannt, dass es diesbezüglich Urteile gäbe. Somit gehe ich davon aus, dass sich die behandelnden Ärzte größtenteils an die Patientenverfügungen halten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass zu der Patientenverfügung auch eine Vorsorgevollmacht auszustellen ist. Sie ermöglicht der bevollmächtigten Person dem Inhalt der Verfügung Nachdruck zu verleihen und eventuell bestehende strittige Punkte klarzustellen.

8.) Warum ist ambulanter Pflegedienst ein Traumjob (ernst gemeint!)?

Neben den allgemeinen Gründen wie der Versorgung der Menschen in ihrem gewählten Umfeld, Eigenverantwortung vor Ort, hohes Maß an Autonomie, breites Aufgabenfeld und vieles mehr, kommt für mich als Führungskraft hinzu, pflegerische und ökonomische Entscheidungen schnell treffen zu können. Wir sind ein mittleres Unternehmen mit ca. 100 Kunden und 35 Mitarbeitern. Unser Führungsteam besteht aus vier Personen. Wir können unser Verständnis von Pflege, unsere Philosophie und Visionen in den Alltag einbringen. Das Besondere hierbei ist, dass wir ebenfalls in der Pflege mitarbeiten. Somit haben wir engen Bezug zu Kunden und Mitarbeitern. Dennoch ist die ambulante Pflege ein Aufgabenfeld, das unseren Mitarbeitern viel abverlangt. Die Tatsache alleine vor Ort zu sein, oftmals körperlich und seelisch belastende Pflege durchführen zu müssen und hierbei stets die Verantwortung für die bestehende Situation zu tragen, liegt nicht jedem. Unsere Mitarbeiter müssen in der Lage sein pflegerisch notwendige Maßnahmen mit einem hohen Maß an Empathie in einer wirtschaftlich vertretbaren Zeit kundenfreundlich umzusetzen. Diesen Konflikt bewältigen wir immerhin schon seit über zwanzig Jahren.

9.) Die Bundestagswahl ist vorbei. Ihr werdet überraschend als Gesundheitsminister ins Kabinett berufen. Welche sind Eure ersten Sofortmaßnahmen und warum?

Ich würde die Wahl nicht annehmen. Klar – wir könnten uns jetzt stundenlang darüber unterhalten, dass die Pflegeversicherung reformiert werden müsste, Krankenversicherungsbeiträge von den Lohnnebenkosten abgekoppelt werden müssen, es zu viele Krankenversicherungen und Krankenhäuser in Deutschland gibt, wir etwas gegen die Lobby der Pharmaindustrie unternehmen müssten und vieles mehr. Der Gesundheitsminister hat meines Erachtens den undankbarsten Job aller Politiker. In den Köpfen der Menschen ist Gesundheit „das höchste Gut.“ Wir wünschen uns Gesundheit und ein langes Leben. Wenn man die Menschen fragt, was sie sich im Leben wünschen ist es meistens neben Glück Gesundheit. Wir geben 10,6% unseres BIP für unser Gesundheitssystem aus und liegen damit deutlich über dem OECD Durchschnitt von 8,9% (Zahlen nach den Gesundheitsdaten der OECD 2006) Auf Grund des demographischen Wandels werden wir gezwungen sein, die Ausgaben weiterhin zu erhöhen, insofern wir den bestehenden hohen Standard erhalten möchten. Dies bedeutet neben allen Rationalisierungsmaßnahmen eine Erhöhung der Beitragssätze. Da dies jedoch eine endliche Maßnahme ist, werden wir uns auf Leistungseinschränkungen einstellen müssen. Den Vorwurf, den ich dem Gesundheitsministerium mache, ist der der mangelnden Transparenz und Ehrlichkeit. Doch hier schließt sich der Kreis. Wenn Gesundheit unser höchstes Gut ist, wird jegliche Einsparung in diesem Bereich vom Bürger mit Entzug der Wählerstimme sanktioniert. Ich bin ebenfalls mit einigen Gegebenheiten des Gesundheitssystems nicht einverstanden, dennoch sehe ich die Brisanz der Materie und beneide den/die Gesundheitsministerin nicht um seinen Posten.

 


Sebastian Dörschug vom Pflegedienst Humanitus