Kirsten Hüning ist Stationsärztin auf der Palliativstation Saunders im Uniklinikum Bonn. Dort erinnert man in gemeinsamen Gedenkrunden an die auf der Station Verstorbenen. Auch dies ist für einige Teilnehmende ein Ausdruck von Spiritualität.
Wir haben unsere Mama/Frau auf eine große Reise geschickt. Wir hoffen, sie ist jetzt in einer anderen, besseren Welt.“ So schrieben Angehörige einer Patientin, die wir auf der Palliativstation Saunders bis zu ihrem Tod begleitet haben, in unser Erinnerungsbuch. Das Buch liegt im Wohnzimmer der Station, und jede*r Begleitende kann dort ein paar Worte niederschreiben, manche kleben auch Fotos der Verstorbenen hinein. Immer wieder blättern die Besucher*innen der Patient*innen darin, und auch die
Mitglieder des Teams nehmen es ab und an in die Hand.
Im Rahmen einer Sterbebegleitung bemühen wir uns, die angesichts des nahen Todes bereits trauernden An- und Zugehörigen in Gesprächen zum Augenblick des Sterbens hinzuführen und ein wenig vorzubereiten auf die Zeit danach. In diesen Gesprächen werden von uns Fragen zur Symptomlinderung, zum Absetzen von Ernährung und Flüssigkeit und zum Sterbeprozess beantwortet. Daneben erfahren die Angehörigen häufig eine enorme Entlastung bezüglich der Frage nach der richtigen Frequenz und Dauer ihrer Besuche, wenn sie hören, dass die Patient*innen den Moment ihres Sterbens mitgestalten und zuweilen auch leichter sterben, wenn sie allein sind. Außerdem werden die An- und Zugehörigen von uns zur Selbstfürsorge angeregt. Alle Mitglieder des Teams stehen hierfür zur Verfügung.
Wenn wir uns am Ende einer Begleitung von den An- und Zugehörigen der Verstorbenen verabschieden, stellen wir in Aussicht, dass wir uns nochmal bei ihnen melden werden. Dies geschieht in Form eines nachgehenden Telefonats nach rund sechs Wochen. Den Impuls für diese Form der weiteren Begleitung gab unsere Stationsleitung Andrea El-Khawaga, die wiederum durch ihre Ausbildung zur Trauerbegleiterin dazu inspiriert wurde. Die Telefonate werden von allen Mitgliedern des Teams geführt und in einem Buch dokumentiert. Dort werden alle Verstorbenen und die An- und Zugehörigen mit jeweils individuellen Besonderheiten der Begleitung eingetragen. Im Rahmen des telefonischen Kontaktes wird das Angebot gemacht, einen persönlichen Gesprächstermin zu vereinbaren, falls noch Fragen offen sein sollten und ein Gespräch für die Hinterbliebenen hilfreich sein könnte. Die Angerufenen zeigen sich meist sehr erfreut über die erneute Kontaktaufnahme, ein weiterer persönlicher Kontakt wurde bislang äußerst selten gewünscht.
Ein bisher sehr bedeutender Termin im Jahresablauf der Station hat in 2020 leider nicht stattfinden können – unsere Gedenkfeier. In den vorherigen Jahren organisierten wir gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen der evangelischen und katholischen Klinikseelsorge an einem Samstag im Spätsommer eine Feier zum Gedenken an die Verstorbenen, zu der alle An- und Zugehörigen eingeladen wurden. Zunächst wurde eine kleine Zeremonie in der Klinikkirche vollzogen. Geleitet von den Vertretungen der evangelischen und katholischen Klinikseelsorge wurden von Mitarbeitern der Station Texte und Fürbitten gelesen, daneben wurde Instrumentalmusik vorgetragen, es wurde gesungen und gebetet. Abschließend hatten die An- und Zugehörigen die Möglichkeit, durch ein Ritual – häufig das Ablegen einer zuvor ausgeteilten Rose auf dem Altar – noch einmal der Verstorbenen zu gedenken. Neben dem Altar stand ein Buch, in dem unter der Überschrift des einzelnen Monats des vergangenen Jahres die jeweils Verstorbenen namentlich aufgeführt sind.
Für fast alle Hinterbliebenen war es jedes Mal ein wichtiger Akt, in diesem Buch den Namen des/der Verstorbenen nachzuschlagen und dort geschrieben zu sehen. Im Anschluss luden wir zu Kaffee und Kuchen auf die Terrasse der Palliativstation ein. Auf dem Weg von der Klinikkirche zur Station ergaben sich bereits die ersten Gespräche. Für die Angehörigen, aber auch für uns als Team, waren diese Feiern immer ein sehr schöner Rahmen für erneute Begegnungen und Austausch. Im letzen Jahr verschickten wir leider keine Einladungen, sondern Grußkarten mit der Entschuldigung, dass die geplante Feier ausfallen muss. Ob wir die Gedenkfeier in diesem Jahr wieder durchführen können, ist noch offen. Wir hoffen sehr, dass dies möglich sein wird!
Ein weiterer Bestandteil unserer eigenen Erinnerungskultur ist die wöchentliche Gedenkrunde. Alle Mitglieder des Stationsteams, des zuweisenden palliativen Konsildienstes, die Physiotherapeut*innen, die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von Bonn Lighthouse, aber auch unsere Küchen- und Reinigungskraft sind hierzu eingeladen. Früher setzten wir uns im Wohnzimmer der Station zusammen, aktuell verbleiben wir aus Abstandsgründen nach der Mittagsübergabe am Dienstag im deutlich größeren Besprechungsraum.
Um der Gedenkrunde eine andere Form zu geben, wechseln wir die Stühle. Wir gedenken dann der Patient*innen, die in der vergangenen Woche auf der Station verstorben sind. Dabei geht es nicht um Diagnosen oder medizinische Details, sondern darum, wie jede*r Einzelne die Begleitung erlebt hat und woran man sich erinnert. Die Gedenkrunde bietet uns eine Möglichkeit, mit den Begleitungen abzuschließen. Wir führen auf Station ein Büchlein mit spirituellen Sentenzen. Am Ende der Runde wird daraus ein Spruch vorgelesen, etwa wie folgender:
„Wir wünschen dir Frieden,
dass die Dünung des Meeres dir günstig sei.
Wir wünschen dir den Frieden einer sanften Brise.
Wir wünschen dir den Frieden der stillen Erde.
Den Frieden der klaren Nacht voller Sterne.“
Kirsten Hüning (2021)