Bei dem Konzept „Behandlung im Voraus planen“ sollen geschulte Gesprächsbegleiter*innen Menschen dabei helfen, Verfügungen so verfassen, dass die medizinische Behandlung am Lebensende auch wirklich deren Wünschen entspricht. Dies erfordert neue Standards, Fortbildungen und nicht zuletzt den Willen der Menschen, sich intensiver mit den Konsequenzen ihrer Wünsche auseinanderzusetzen.
Damit Menschen an ihrem Lebensende auch tatsächlich die Behandlung erfahren, die sie sich wünschen, und das auch dann, wenn sie selbst nicht mehr in der Lage sind, sich zu äußern, bedarf es Vorabverfügungen, sogenannter Patientenverfügungen. Um deren Rechtmäßigkeit zu verdeutlichen, wurde 2009 nach langen und fraktionsübergreifenden Diskussionen im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Patientenverfügung (§ 1901a BGB) verabschiedet.
Seitdem gibt es eine wahre Flut von Formularen, mit deren Hilfe jede Person, die das will, eine solche Verfügung erstellen kann. Die vergangenen zehn Jahre haben aber gezeigt, dass solche, teilweise ohne jede Beratung formulierten Verfügungen, nicht aussagekräftig, in sich nicht stimmig sind oder sogar falsch verstanden wurden. Die meisten Menschen sind mit der Aufgabe, unmissverständlich und medizinisch eindeutig ihren Willen zu dokumentieren schlicht überfordert!
Diese Erkenntnis ist nicht neu; bereits in den 1990er-Jahren entwickelte sich in den USA ein Konzept mit dem Namen ACP (Advance Care Planning) oder auf Deutsch BVP (Behandlung im Voraus planen). Dieses Konzept, das inzwischen in vielen Ländern Anwendung findet, geht davon aus, dass die Menschen eine*n geschulte*n Gesprächsbegleiter*in benötigen, um diese existentiellen Fragestellungen in ihrer ganzen Tragweite zu verstehen, sich damit in ausreichender Weise auseinanderzusetzen und schlussendlich ihre Wünsche diesbezüglich festzulegen können.
Seit Einführung der Vereinbarung nach § 132g SGB V können in Deutschland stationäre Einrichtung der Seniorenhilfe oder Einrichtungen der Eingliederungshilfe ihren GKV-Versicherten solche BVP-Gespräche anbieten, was auch inzwischen vielerorts geschieht. Für den ambulanten Bereich gibt es derzeit noch keine Angebote.
Besonders vor dem Hintergrund der derzeitigen Corona-Krise rückt vor allem ein Baustein von BVP in den Vordergrund, nämlich die sogenannte Notfallplanung. In diesem Dokument wird festgelegt, was der herbeigerufene Notarzt in einer akuten Notfallsituation, beispielsweise eine plötzlich dramatische Verschlechterung des Gesundheitszustands wie Herzstillstand, akute Atemnot oder Verlust des Bewusstseins, an medizinisch indizierten Maßnahmen durchführen soll. Dabei geht es nicht um langfristige Festlegungen, sondern um akute Entscheidungen, wie die Frage: Möchte ich überhaupt (noch) in ein Krankenhaus oder sogar auf eine Intensivstation? Möchte ich künstlich beatmet werden? Angesichts des momentanen Pflegenotstands und der vielfach bestehenden Besuchsverbote bedarf es hier einer ganz besonders aufmerksamen Betrachtung. Sie führt unweigerlich zu der Frage: Was bedeutet für mich Leben und Lebensqualität?
Damit sich mit solchen Fragestellungen auch Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen auseinandersetzen können, wird derzeit vielerorts an Formularen und Arbeitshilfen in leichter Sprache gearbeitet. Auch die Fortbildungsinhalte für die Gesprächsbegleiter*innen müssen für diese Personengruppe speziell zugeschnitten sein. Bonn Lighthouse arbeitet gerade mit der Akademie für Palliativmedizin am Malteser Krankenhaus an einem Fortbildungskonzept für die Gesprächsbegleitung speziell für die Eingliederungshilfe. Kolleg*innen sind auch als Referent*innen bei den Schulungen dabei und haben beispielsweise einen „Notfallbogen in leichter Sprache“ mitentwickelt. Darüber hinaus engagiert sich Bonn Lighthouse derzeit auch an der regionalen Implementierung des § 132g SGB V im Kreis Bonn/Rhein-Sieg. Wir stehen aber mit diesem Thema noch ganz am Anfang.
Christiane Ohl (2020)