Blog: Texte aus dem prallen Leben bei Bonn Lighthouse – Verein für Hospizarbeit
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Ausbildung zur Trauerbegleitung

Aus dem Ich heraustreten und an die Tür des Gegenübers anklopfen

Lena Schnabel hat 2017 den Befähigungskurs zur Sterbebegleitung gemacht und ist seitdem ehrenamtlich für Bonn Lighthouse im Einsatz. Im Herbst 2021 begann sie die Ausbildung zur Trauerbegleiterin an der Akademie für Palliativmedizin Bonn bei Monika Müller und ihrem Team. Hier berichtet sie von der ersten Woche.

Ein Montagmorgen im September. Es ist elf Uhr. Wir sitzen mit zweiundzwanzig Personen in einem Raum im Haus Giersberg, dem Tagungshaus für die Fortbildung von Haupt- und Ehrenamtlichen im Gesundheitswesen in Witterschlick. Für mich ist es das erste Mal, seit Corona Einzug in unser Leben genommen hat, dass ich mit so vielen Menschen gleichzeitig für so lange Zeit drinnen zusammen bin. Nach über eineinhalb Jahren Pandemie, mehreren Lockdowns, Homeoffice und Distanzhalten ist das gewöhnungsbedürftig. Zwar tragen wir alle den obligatorischen Mund-Nasen-Schutz, Fenster und Türen stehen offen, aber in diesem Moment spüre ich deutlich die Entwöhnung von der Selbstverständlich und Normalität des Zusammenseins. Auch in den Augen und am Stirnrunzeln der anderen meine ich, Unsicherheit zuerkennen. Immer wieder schweifen die Blicke durch den Raum, prüfend, ob der Abstand im Stuhlkreis zwischen uns groß genug ist. Wir müssen uns erst mal aneinander und an die Situation gewöhnen.

Wir, das sind insgesamt zwanzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich im nächsten knappen Jahr zu Trauerbegleiter*innen ausbilden lassen. Mit uns im Raum sind Sylvia Brathuhn und Thorsten Adelt, zwei der drei Kursleiter*innen. Monika Müller kommt am nächsten Tag dazu. Nachdem die organisatorischen Dinge geklärt sind und Thorsten und Sylvia sich vorgestellt haben, lernen wir einander kennen. Es geht reihum. Wir erzählen, wer wir sind und warum wir Trauerbegleiter*innen werden möchten. Die Menschen hinter den Masken kommen zum Vorschein und ich merke, dass mit der schwindenden Anonymität langsam die Unsicherheit von mir abfällt. Die Vorfreude verwandelt sich in Freude, endlich da zu sein. Ich hatte lange gebangt und gehofft, dass der Kurs stattfindet. Jetzt kann es losgehen!

Lena Schnabel

Irgendwann bin ich an der Reihe. Ich erzähle, dass ich seit gut viereinhalb Jahren ehrenamtlich bei Bonn Lighthouse arbeite und mich die Themen Sterben und Tod intensiv beschäftigen. Dass die Arbeit im Verein mir Sinn gibt, weil sie Menschen unmittelbar zugute kommt und weil ich mich hier Menschen zuwende, denen ich in meiner Alltagsblase sonst nicht begegnen würde. Der Wunsch, Trauerbegleiterin zu werden, hat sich im Laufe der Zeit entwickelt und ist immer mehr gewachsen. Ich selbst wurde bei Bonn Lighthouse nach einer heftigen Verlusterfahrung begleitet und habe die Erfahrung gemacht, wie wichtig es ist, diesem Tsunami von Gefühlen nicht alleine ausgesetzt zu sein. Dann lese ich meinen Text vor. Das war nach der Bewerbung selbst die zweite Aufgabe an alle; einen uns unterstützenden Text mitzubringen. Ich habe ein paar Zeilen aus dem Lied „My Blakean Year“ von Patti Smith ausgewählt, mit denen ich Hoffnung, Mut und Kraft assoziiere. Dann geht es weiter. Die anderen erzählen von sich, ihrer Motivation, die Ausbildung zu machen und schließen mit ihren Texten. Das Kennenlernen ist sehr persönlich und bringt uns direkt dorthin, womit wir uns bis Freitag beschäftigen.

„Das ‚Erwärmen‘ hilft in der Trauerbegleitung,
die Verbindung zwischen trauernder und begleitender
Person zu verlebendigen.“

Selbstreflexion ist das Thema der ersten Woche von insgesamt fünf, die sich knapp über ein Jahr verteilen. Bevor wir das Handwerkszeug für die Begleitung von Trauernden lernen, leiten Monika, Sylvia und Thorsten an, es an uns selbst zu erfahren. Wir alle haben in unserem Leben prägende Verlust- und Trauererfahrungen gemacht und damit wird jetzt gearbeitet. Die zentrale Methode dafür ist das Erwärmen. Sie soll helfen, sich besonderes in die Situation des Gegenübers einzufühlen, indem der Kontakt zwischen trauernder und begleitender Person „verlebendigt“ wird.

Im Laufe der ersten Woche geht es also um uns. Wir beginnen mit einer Wahrnehmungsübung und merken schnell, wie schwierig es ist, eine Sache einfach nur zu sehen und als solche stehenzulassen, ohne die nächsten Schritte in die Beschreibung, Interpretation und Beurteilung zu gehen. Wie wichtig Innehalten und Wahrnehmen sind. Eine erste Erkenntnis für den Umgang mit unserer eigenen Trauer wie auch für die spätere Arbeit in der Trauerbegleitung. Nach dem Vormittag sind wir voller neuer Eindrücke. Gemeinsam machen wir uns zu Fuß auf den Weg durch den Kottenforst zur Kantine im Helios Klinikum. Das Laufen durch den Wald tut gut und ein erstes Kennenlernen außerhalb des formellen Rahmens beginnt.

Am Nachmittag gehen wir auf Traumreise. Streifen im Inneren durch unser bisheriges Leben, vorbei an Momenten, in denen wir Verlusterfahrungen gemacht haben. Die Reise ist eine Vorstufe zur nächsten Aufgabe. Wir sollen das Erlebte malen. Ich fühle mich erschlagen. Von der Aufgabenstellung mehr als von der Traumreise selbst. Ich habe vermutlich Jahrzehnte nicht mehr gemalt. Wie soll ich was Vorzeigbares zu Papier bringen, das auch noch so persönlich ist? Aber es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu schaffen und so fange ich einfach an, intuitiv einzelne Motive und Symbole zu malen, die irgendwie doch ein großes Ganzes ergeben.

In den nächsten anderthalb Tagen sprechen wir in zwei Zehnergruppen über unsere Bilder. Von Anfang an herrscht eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre, der Umgang miteinander ist geprägt von Respekt und Empathie. Alles andere wäre dem Rahmen nicht angemessen gewesen, aber dass wir ihn auf Anhieb so schaffen konnten, hätte nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Für diese positive Erfahrung bin ich sehr dankbar.

„In der Trauerbegleitung ist es wichtig,
jeder Person wertfrei zu begegnen und sie in ihrer
eigenen Individualität wahrzunehmen.“

Nach der Bildbesprechung sammeln wir uns wieder in der großen Gruppe, reflektieren sie zu zweit mit einer Person aus der jeweils anderen Gruppe. Bis Freitag erproben wir weitere Methoden, lernen unter anderem die drei Felder der Trauer kennen und arbeiten mit einer kleinen bemerkenswerten Bilderserie des an einem Lungentumor erkrankten Bäckers Herrn B., den Monika in seinem Sterben begleitet hat. Auch mit ihm hatte sie die Methode des Malens angewendet und in seinen insgesamt acht Bildern hat Herr B. einen Weg gefunden, seine Gefühle in der letzten Phase seines Lebens auszudrücken.

Bevor wir uns aus der Woche verabschieden, noch eine letzte Aufgabe, die mit einer Frage beginnt: „Was hat dir gut getan in deiner Trauer?“ „Wandern“, „Humor“ oder „bügeln“. „Einfach nur ausgehalten werden“, „Gespräche mit Gott“ oder „der Austausch mit anderen Betroffenen“. Das sind nur ein paar Antworten, die zusammengekommen sind. Als dann jede*r von uns eine Antwort vertreten soll, die so gar nicht dem eigenen Wohlbefinden entspricht, veranschaulicht das einmal mehr, wie wichtig es in der Trauerbegleitung ist, jeder Person wertfrei zu begegnen und sie in ihrer eigenen Individualität wahrzunehmen. Es gibt ein schönes Bild dafür, wie eine Begleitung mit professioneller Distanz aussehen kann. Das Bild von der begleitenden Person, die aus dem eigenen Ich heraustritt und an die Tür des Gegenübers klopft, um Hilfe anzubieten.

Zum Abschied treffen wir uns in großer Runde und blicken gemeinsam zurück. Ich bin dankbar für den freundlichen Schlag Menschen unserer Gruppe, für die vertrauensvolle Atmosphäre, den respektvollen Umgang und für die vielen Begegnungen und Gespräche in dieser ersten Ausbildungswoche. Ich bin auch dankbar für das professionelle, empathische Team, von dem wir lernen dürfen. Ich fahre nach Hause mit dem Gefühl, beseelt zu sein und freue mich darauf, alle zur zweiten Ausbildungswoche wiederzusehen.

Lena Schnabel (2021)